I N T E R V I E W
Ostern ist ein Hochfest des Glaubens in der katholischen Kirche. Man feiert die Auferstehung Jesu Christi. Im ausführlichen „DA“-Gespräch mit dem Stadtpfarrer Martin J. Martlreiter erklärt der Geistliche den eigentlichen Sinn des Osterfestes, verrät wie schwer es geworden ist die Gläubigen für die Gottesdienste zu begeistern und warum es wichtig ist, jeden Sonntag ein „kleines“ Osterfest zu feiern.
DA: Herr Martlreiter, was ist für Ihren Glauben wichtiger: Ostern, also die Auferstehung, oder Karfreitag, also das Sterben Jesu?
Martin J. Martlreiter: Menschlich gesprochen bin ich natürlich für die österliche Version des Lebens. „Es wird schon alles gut!“ Leider spricht meine Lebenserfahrung dagegen. Wenn ich auf meine vielen Begegnungen mit den Menschen zurückblicke, dann bleiben bei mir die Fragen nach Leid, Schuld und Scheitern in unserem menschlichen Alltag. Was soll ich sagen, wenn ein 16-jähriger tödlich verunglückt, weil er zum Muttertag noch schnell einen Strauß Blumen holen wollte. Ein Mofa, ein zerfetzter Strauß am Bahngleis … Ja, der Karfreitag geschah nicht nur auf Golgota, er begegnete mir schon zu oft, egal ob am Straßenrand, in einer Wohnstube oder in der Ausweglosigkeit am Krankenbett. Weil es den Karfreitag gibt, darum schaue ich so oft aus nach dem Ostermorgen. Daher ergibt sich unsere Antwort. Karfreitag und Ostern stehen in keiner Konkurrenz, vielmehr finden wir hier eine Antwort aus dem Glauben, die dem Leben vertrauen lehrt.
DA: Glauben Sie wirklich, dass Jesus auferstanden ist?
Martin J. Martlreiter: Seit meiner Kindheit weiß ich um den Ostermorgen. Als junge Menschen haben wir darüber diskutiert und versucht, dieses Geheimnis mit der Vernunft aufzuschlüsseln. Ostern ein Hoffnungszeichen oder Mutmacher! Komisch, es ist mir nie gelungen. „Auferstehung muss man nur recht verstehen“, so sagte man es mir. Ehrlich gesagt, es hat bei mir nicht geklappt. Es waren immer Zweifel und Unsicherheiten. Doch plötzlich wurde ich sensibel auf Menschen, die den Karfreitag ertrugen, die nicht kleiner wurden, deren Leben tiefer wurde. Da wuchsen in mir Vertrauen und Gewissheit. Nicht nur die Heilige Schrift bekundet diese Urwahrheit unseres Glaubens, sondern es sind glaubende Menschen, die uns nicht verzweifeln lassen, weil am Ende unseres Lebens Gottes Verheißung steht: Auferstehung und Leben.
DA: Was sagen Sie zu Menschen, die an die Auferstehung nicht glauben können, beziehungsweise wollen?
Martin J. Martlreiter: Das gehört zu meinen bitteren Lebenserfahrungen, dass Menschen nicht können oder wollen, dass sie sich verweigern. Es gibt diese Betonköpfe, die zu sind, aber auch die Menschen, die gefangen sind in ihrem eigenen Suchen und Fragen. Wie auch immer? Da geht es nicht um Schuld oder Versagen. Es gibt unendlich viele Gründe: eine verkorkste Kindheit, menschliche Enttäuschungen, Arroganz und Überheblichkeit. Hier zu urteilen, erschiene mir unangemessen. Wenn der Herrgott die Gnade schenkt, eine Brücke zu bauen, dass ein Mensch sich öffnet, dann dürfen sich beide freuen, der Brückenbauer und der Pilger durchs Leben.
DA: Was hat den Christen die Auferstehung für das tägliche Leben zu sagen?
Martin J. Martlreiter: Bei der ersten Frage habe ich schon versucht zu erklären, Auferstehung ist keine Ideologie oder ein Wohlfühlrezept für schwere Stunden. Der österliche Mensch kommt eigentlich davon nicht los. Die Gläubigen feiern daher Woche für Woche mit jedem Sonntag das kleine Osterfest. Gerade die reiche Lichtsymbolik der Osternacht mit der Dunkelheit der Kirche, dem kleinen Licht der Osterkerze bis hin zum Osterjubel im voll beleuchteten Festsaal des Gotteshauses oder hinein in das aufgehende Licht des Ostermorgens schließt alle Stunden des Lebens mit ein. Bei der Taufe brennt das Osterlicht und beim Requiem entzünden wir es wiederum.
DA: Warum ist es so wichtig für die Christen, Ostern jedes Jahr aufs Neue zu feiern?
Martin J. Martlreiter: Gerne nehmen wir heute die Bilder des alltäglichen Lebens. Die Zyklen Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die Blütenpracht im Frühling und das Fallen der Blätter im Herbst. Ja, das sind wunderbare Symbole, Metaphern für das Wandeln und Verwandeln, aber eben nur Ereignisse der Natur. Auch hier müssen wir mehr wagen. Ich sage, wir dürfen in diesem Erkennen oder Verstehen vertrauensvoll nach der Hand Gottes greifen, dann will ich erst vom Glauben reden. Am Ende steht nicht der Kreislauf, sondern die Vollendung, nicht die Natur sondern Gott. Aus dieser Sicht habe ich immer einen Vorbehalt, wenn die Menschen die Welt ins Paradies verwandeln wollen. Ich bin der Meinung, wir sollen uns für die Ewigkeit vorbereiten, wie auch immer wir dies mit Bildern beschreiben wollen.
DA: Das haben Sie schön beschrieben, aber was kann man als Geistlicher machen, damit die Menschen an Ostern gerne in Ihre Kirche kommen?
Martin J. Martlreiter: Eine sehr schwierige Frage, muss ich zugeben. Heute machen Menschen viel, sehr viel. Wir sind zu Machern geworden. Vielleicht sollten wir wieder mehr feiern. Der Priester hat hier gewiss eine Schlüsselstellung, keine Frage. Machen, und dann ist die Sache erledigt. Ich plädiere dafür, dass wir in uns die Natur der Freude, der Zuversicht, des Feierns entdecken. Wenn wir Ostern feiern, dann werden wir eine Gemeinschaft, dann besuchen wir nicht ein Event, sondern haben teil. Wenn dies geweckt wird beim Priester und in der Gemeinde, dann wird uns nichts fehlen, denn dann haben wir Hoffnung, dann lebt der Glaube, dann wächst die Liebe.
DA: Viele Gläubige kommen gar nicht mehr in die Kirche oder sind sogar ausgetreten. Beunruhigen Sie die Zahlen? Und müssen die Zahlen von der Kirche auch endlich ernst genommen werden?
Martin J. Martlreiter: Die Distanz wächst, die Entfremdung nimmt zu. Es ist ein schmerzlicher Vorgang, dem wir uns heute stellen müssen. Früher war Papst Benedikt schuld an den Kirchenaustritten. Heute, wo die Zahlen ganz andere Dimensionen aufweisen, wer ist da der Schuldige? Natürlich können Menschen die Schönheit Gottes verdunkeln oder sogar missbrauchen, was ja zweifelsohne geschieht. Ist aber Glaube das Machbare des Menschen? Vorteil, Nutzen, Bequemlichkeit, Wohlfühlen, keine Kirchensteuer zahlen, seine eigene Welt basteln. Ehrlich gefragt, betreiben wir hier nicht einen falschen Fingerzeig? Vielleicht eine kleine Alternative: weniger Welt – mehr Gott, weniger Ich – mehr Wir, weniger Gier – mehr Solidarität, weniger Geld – mehr Gebet. Für mich steht fest: nicht die Welt wird uns retten, allein Gott wirkt Heil und schenkt Leben. Vielleicht müssen wir das auch in der Kirche neu lernen, sowohl in der Institution als jeder persönlich.
DA: Zurück zu Ostern: Das Fest wird immer mehr verniedlicht. Kinder freuen sich auf ein zweites Weihnachten, weil es vielerorts große Geschenke gibt. Das kann doch nicht der Sinn sein…
Martin J. Martlreiter: Das sehe ich noch extremer. Ostern wird nicht nur verniedlicht, sondern viele lassen dieses Fest zu kleinen Ferien verkümmern. Unsere großen kirchlichen Feste verkommen zum Urlaub. „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt …“. Ich denke hier an die Freitagsdemos „Fridays for Future“. Sie sind „in“, der Zweck okay. Hoffentlich stehen die Demonstranten jetzt nicht mit ihren Eltern am Flughafen für die „kleinen“ Osterferien! Gerade in diesem Zwiespalt erlebe ich unsere Gesellschaft, wo ein weniger doch mehr wäre. Wenn die Kirche hier nicht das „Mehr“ Gottes verteidigt, wird sie zu dem, was die Welt zu genüge hat. Scheinbar mit dem besten Willen verkaufen wir den Ort und die Zeit unserer kirchlichen Feste für ein Linsengericht.
DA: Ist Ostern für einen Geistlichen anstrengender, da sehr viele Messen anstehen?
Martin J. Martlreiter: Gewiss ist Ostern für die Geistlichen und das gesamte Kirchenpersonal fordernder, weil die Menschen spüren „Ich will mehr.“ Aber ist das nicht unsere Berufung? Solange wir nicht die Wunscherfüller kurzlebiger, oberflächlicher Wünsche werden, sondern die Wecker für einen neuen Morgen, dann haben wir unsere Aufgabe nicht verfehlt. Ich wünsche allen, die Dunkelheit des Karfreitags, gleich wie sie uns aufgebürdet wird, zu tragen oder ertragen zu können, dass die Zuversicht des Ostermorgens unser Leben erhellt, und wenn es nur der zarte Schimmer des anbrechenden Morgenlichts ist. Gibt es am Ostermorgen was Schöneres als den festlichen, schweren Klang unserer Kirchenglocken, die verkünden „Der Herr ist auferstanden, wahrhaft erstanden vom Tod.“ Allen ein Frohes Osterfest 2019!